Buchrezension: „Porno – eine unverschämte Analyse“ von Madita Oeming

Jan 3, 2024 #Buch, #Rezension
Buchvover "Porno - eine unverschämte Analyse" von Madita Oeming

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Die Kulturwissenschaftlerin legte 2023 bereits in 2. Auflage ein Buch vor, das für Alle innerhalb und außerhalb der Branche lesenswert ist. Neben einem historischen Überblick und so mancher Begriffskrlärung kommen auch viele Argumente zur Sprache, die oft gegen die Erotikbranche gerichtet werden. Madita Oeming zerlegt sie – wissenschaftlich fundiert -teils genüsslich und widerlegt vieles davon.

Die Autorin promovierte zum Thema Pornosucht, oder genauer: „Porn Addiction – America‘s Moral Panic of the Digital Age“. Ein mit Sicherheit interessantes Thema, wobei die Betrachtung als „Sucht“ bereits in Wissenschaftskreisen höchst umstritten ist. Adult Entertainment ist längst fester und wichtiger Bestandteil der Unterhaltungsbranche – und genau als diesen beleuchtet Madita Oeming das Genre. Dabei geht sie keineswegs hochgestochen wissenschaftlich an das Thema heran. Vielmehr erfahren wir Einiges auch über die kulturellen oder sozialen Facetten sowie deren Auswirkung auf die Wahrnehmung der Branche in der breiten Öffentlichkeit. Eine Auseinandersetzung damit kann auch durchaus hilfreich für Insider sein.

Jugendschutz aus wissenschaftlicher Sicht

Heute befassen sich sich zahlreiche Institutionen mit dem Thema Jugendschutz und wollen mit immer größerer Härte immer schärfere Vorschriften durchsetzen. Madita Oemings Buch hat dort offenbar niemand gelesen.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben Jugendliche immer später Sex… Aktuelle Zahlen bestätigen die Sorge um sexuelle Verwahrlosung in keiner Weise.

Die Autorin stellt eine „Generation Porno“ in ihrem Buch vielfach in Frage, auch wenn Studien Pornografie als eines der „wohl größten Probleme des Internets“ bezeichnen. Mit der Realität hat dies offenbar wenig zu tun, wie auch Madita Oeming ausführt:

In Anbetracht der verbreiteten Nutzung unter Jugendlichen müsste sich dies nach fast 25 Jahren Online-Pornographie bemerkbar machen. Ein Blick in die aktuellen Zahlen zu Jugendsexualität zeigt eher das Gegenteil.

Das allgemeine Geschrei nach Altersverifikationssystemen wäre vielleicht nicht ganz so laut, würden sich Institutionen wie etwa die KJM einmal tatsächlich mit der Lage bei den Jugendlichen – über deren Netzzugang sie ja entscheiden (wollen) – beschäftigen. Doch auch in ganz anderen Bereichen gibt es ganz offensichtlich deutliche Fehleinschätzungen.

Der Mythos der blonden, großen, superschlanken Protagonistin

Hartnäckig hält sich auch in Branchenkreisen die Vorstellung vom Äußeren einer durchschnittlichen Darstellerin. Madita Oeming räumt auch damit auf und zitiert eine Auswertung von 10.000 Profilen:

Das Ergebnis war keine Blondine mit Riesenbrüsten, sondern: sie ist 1,65 m groß, 54 kg schwer, hat braune Haare und trägt BH Größe 75 B.

Das dürfte einige in der Branche erst einmal überraschen. Bei genauer Durchsicht der Vorschaubilder von Camportalen oder den Katalogen der OnlyFans Creators kommt aber schnell der Verdacht auf, dass Madita Oeming auch hier durchaus recht haben könnte.

Ab wann ist eine MILF eine MILF ?

Auch zu dieser Diskussion trägt die Autorin bei. Ursprünglich geht der Begriff zurück aufs Stiffler´s Mom in der US-Komödie „American Pie“. In den darauf folgenden Jahren prägte die Figur der dauergeilen Mutter eine Kategorie in der Erotikproduktion, die bis heute stets weit oben rangiert. Oft wird diskutiert, ab wann eine Frau die erforderlichen Kriterien erfüllt.

In der Welt ist Pornos bedeutet MILF meist nur „über 30 Jahre alt“. Die Durchschnitts-MILF ist 33 Jahre alt, unter 10 % sind über 40, unter 5 % über 50.

Klar definiert, auch wenn so manch 31-jährige Darstellerin jetzt vermutlich die Stirn runzelt, sobald man sie in diesem doch noch recht zarten Alter in diese Schublade steckt. Ihrem Umsatz abträglich dürfte das jedoch keinesfalls sein.

Auch die „Anti-Porno-Bewegung“ kommt zur Sprache

Die in den Achtziger Jahren von der Zeitschrift „Emma“ losgetretene „PorNO“ Kampagne wird kritisch hinterfragt. Beispielsweise wurden die auch damals schon verfügbaren Schwulenpornos nie in irgendeiner Weise berücksichtigt, ebenso gelang der aus den USA übernommenen Kampagne selbstverständlich nie der Nachweis einer behaupteten, schädlichen Wirkung von Pornographie-Konsum.

„Ein Drittel der Pornokonsumenten sind Frauen“

Auch diese Einschätzung dürfte so einige in der Branche überraschen. Tatsächlich dürften beispielsweise Payment-Anbieter dieser Aufteilung vehement widersprechen. Ganz sicher wird es jedoch einen deutlichen Unterschied bei den Anteilen geben, je nachdem ob man bezahlte oder unbezahlte Angebote betrachtet.

Fazit

Madita Oeming ermöglicht eine interessante Sichtweise gewissermaßen von außen auf die Branche, die sich Vielen sonst aus Betriebsblindheit nicht so leicht erschließt. Dabei ergreift sie nicht Partei, wendet sich aber durchaus deutlich gegen die Stigmatisierung der Erotik als Teil der Unterhaltungbranche. Hier schreibt nicht ein Oberlehrer mit dem Zeigefinger, wohl aber kommt völlig zurecht die weibliche Perspektive durch. Und es macht einfach Spaß zu lesen, wie sie, wissenschaftlich begründet, beispielsweise den amtlichen oder auch selbst ernannten Jugendschützern viele ihrer vermeintlichen Argumente um die Ohren schlägt. Mir persönlich fehlte die Erwähnung von Larry Flynt, dem leider inzwischen verstorbenen Pionier der Branche und Dirty Old Man schlechthin. Schließlich erkämpfte er unter hohem persönlichen Einsatz bereits in den siebziger Jahren zahlreiche juristische Siege gegen die Zensur in den USA und hatte maßgeblichen Einfluß auf die Wahrnehmung des Adult Biz weltweit.

Bernhard Bradatsch

Direkt zum Buch:
https://www.rowohlt.de/buch/madita-oeming-porno-9783499012334

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